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Storytelling wertvoller als drei Groschen.

"Diejenigen, die mich kennen, sagen, dass ich ein scharfer Typ bin. Ich bin mir nicht sicher, ob das mich am besten beschreibt. Wie auch immer, reden wir nicht über mich, denn gestern hatte einer von uns, Johannes, einen Arbeits-Unfall. Er kam am morgen schon gestresst an, denn sein kleiner Sohn hat ihn die ganze Nacht wach gehalten, sein Wagen sprang nicht an und der Bus kam zu spät. Als er schließlich zur Arbeit kam, beauftragte ihn der Meister, das beschädigte Kabel eines Motors zu ersetzen. Eigentlich keine eine große Sache für Johannes. Als er seine Werkzeuge und Materialien zusammenpackte, kam er auf dem Weg zur Arbeitsstelle an mir vorbei, ohne dass er mich wahrnahm. Auf der Baustelle angekommen geschah es: Unkonzentriert und gedankenverloren wie er an diesem Tag war, rutschte er mit seinem Messer ab und rammte es sich in sein Bein. Es sah wirklich schlimm aus, wie das Blut herausquoll. Von den Schmerzen ganz zu schweigen! Natürlich wusste er bereits vorher, dass sein Taschenmesser das falsche Werkzeug für den Job war. Jetzt ist er im Krankenhaus und wie es aussieht, wird er sobald nicht wiederkommen. Zumindest wird er sich aber vollständig erholen, sagt sein Arzt. Oh, Sie fragen, wer ich bin? Ich bin Mecki, das Sicherheitsmesser!"
Basierend auf einer wahren Geschichte, die sich am 4. Januar 2019 im Werk XYZ ereignete.

Ich denke, wenn Sie von einem Sicherheitsvorfall wie diesem gehört oder gelesen haben, würden Sie anders über Sicherheitsmesser denken, oder? Sie werden Ihr Verhalten ändern, und genau darum geht es in dieser Blog-Serie.

Denken Sie an das Konzept der Empathie, das ich vorstellte, als ich Sie bat, in die Steinzeit zurückzukehren: Im obigen Beispiel habe ich Ihnen gezeigt was ich damit meinte. Beim Lesen haben Sie sich mit Johannes, dem fürsorglichen Vater, verbunden gefühlt, und ich bin mir sicher, als Sie von seiner Verletzung gelesen haben, fühlten Sie auch seine Schmerzen. Einige von Ihnen haben vielleicht auch in der Werkstatt-Szene den Geruch von Öl in der Nase gehabt. Was sie erlebt haben ist Empathie, der Unterschied zwischen einer Geschichte und einem Bericht. Sie öffnet den Geist für Schritt zwei: den Wissensaustausch.

Nach dem Lesen der obigen Geschichte ist es wahrscheinlich, dass Sie in Zukunft daran denken werden, ein bei elektrischen Abisolier-Arbeiten ein Sicherheitsmesser zu verwenden - falls Sie dies bislang noch nicht getan haben, natürlich. Selbst wenn Sie in der Vergangenheit davon gehört haben, zeigt die Geschichte, was  Ihnen passieren kann, wenn Sie ein falsches Werkzeuge verwenden. Sie haben durch die Geschichte ein implizites Wissen erworben.

Vielleicht werden Sie sich fragen, würde ein Bericht nicht dasselbe tun? Hmm, mal sehen:

Unfallbericht Nr. 01/19

Datum

04. Januar 2019

Zeit:

09:25 Uhr

Ort:

Werk XYZ

Personen:

Elektriker (Verunfallter)

Schicht-Leiter (Erst-Helfer)

Kurzfassung:

Während elektrischen Installationsarbeiten, schnitt der Verunfallte sich tief in den Oberschenkel.

Detailierte Beschreibung:

Als der Verunfallte eine Elektroleitung (660 V) abisolierte, rutsche er mit dem Messer ab und schnitt sich tief in den rechten Oberschenkel. Der Schnitt führte zu einer stark blutenden Fleischwunde und durchtrennten Muskeln.

NAch der Erstversorgung durch den Erst-Helfer wurde der Verunfallte in das Krankenhaus gebracht. Eine chirurgische Behandlung war erfoderlich. Der Verunfallte muss mindestens eine Woche stationär behandelt werden. Die Ärzte erwarten aber eine vollständige Genesung.

Die Sicherheitskette im Werk funktionierte Reibungslos.

Ursache:

Der Verunfallte war abgelenkt.

Der Verunfallte verwendete ungeeignetes Werkzeug (Taschenmesser).

Maßnahmen:

In geplanten Sicherheitsunterweisungen sollen die Werkstattmitarbeiter über die vor kurzem angeschafften Sicherheitsmesser informiert werden.

Arbeiter sollen daran erinnertwerden sich bei der Arbeit zu konzentrieren.

Unfall-Kategorie:

Verhaltensabhängig, Verwendung von ungeeingtem Werkzeug

Auch wenn der Bericht die gleichen Informationen wie die Geschichte enthält, ist er immer noch nicht das Gleiche. Johannes ist gesichtslos. Der Bericht beinhaltet zudem Informationen für verschiedene Zielgruppen: Während die Beschreibung des Vorfalls für die Kollegen von Johannes von Bedeutung ist, ist die Tatsache, dass die Sicherheitskette funktioniert, eher für das Management relevant. Dies führt zu Verwirrungen, wenn man sich für die Schlüssel-Information entscheiden muss.

Dies wird deutlicher, wenn Sie einmal überlegen, wie der Bericht erstellt und verteilt wird. In Organisationen wird der Bericht häufig von einer Sicherheitsfachkraft vor Ort erstellt, natürlich mit Unterstützung der Kollegen aus dem Betrieb. Obwohl der Sicherheits-Experte Weißpunktfreiheit genießt, ist er immer noch Teil der Werksmannschaft. Daher enthält der Bericht unbeabsichtigt einen gewissen Teil an Rücksichtnahme und gelegentlich auch Politik. Ist der Bericht schließlich erstellt, durchläuft er die gesamte Organisation: zuerst in der Hierarchie bis zur Firmen-Zentrale hinauf und anschließend in der Hierarchie wieder in jeden einzelnen Teil der Organisation, der möglicherweise aus dem Vorfall lernen könnte.

Wenn Sie an das Kinderspiel „Stille Post“ denken, können Sie sich die verschiedenen Kommunikationsverluste, während der Bericht weitergeleitet wird, leicht vorstellen. Jede Stufe hat ein eigenes Sender-Empfänger-Problem. Unwissentlich und basierend auf jeder einzelnen Rolle in der Organisation wird der Fokus des Berichts jedes Mal verschoben. Die Nachricht, die schließlich bei dem Arbeiter ankommt, dessen Verhalten beeinflusst werden muss, unterliegt nicht mehr der Kontrolle des ursprünglichen Absenders. Die Botschaft ist außer Kontrolle geraten.

Die Lösung besteht darin, zusätzlich zum Bericht eine Geschichte zu schreiben. Sie können die Schlüsselnachricht für den Kollegen formulieren, dessen Verhalten beeinflusst werden soll. Ohne die Gefahr einer Verwässerung. Im Beispiel liegt der Fokus auf der Verwendung des richtigen Werkzeugs – des Sicherheitsmessers – und der Gefahr von Ablenkung aufgrund von psychischem Stress. Aber anders als ein Bericht spricht James durch eine Geschichte direkt mit jedem seiner Kollegen in der Firma. Als ob man am Lagerfeuer sitzt.

Wie sehen Sie das?

Ihr, Torsten Dederichs

PS: Im nächsten Artikel geht es darum, wie man die Geschichten verbreiten kann, also bleibt dran!